
Das europäische Vergaberecht orientiert sich am Grundgedanken des Binnenmarkts: der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Innerhalb dieses Rahmens spielt die Binnenmarktrelevanz eine zentrale Rolle – insbesondere dann, wenn Aufträge unterhalb der Schwellenwerte liegen. Aber wann genau ist ein Auftrag binnenmarktrelevant und was ist dann zu beachten? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in Folge 52 unseres Podcasts.
Was bedeutet Binnenmarktrelevanz im Vergaberecht?
Die Binnenmarktrelevanz ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der eine Verbindung zwischen dem nationalen Haushaltsrecht und dem EU-Vergaberecht herstellt. Ein binnenmarktrelevanter Auftrag muss – auch wenn er unterhalb der Schwellenwerte liegt – dennoch nach den Grundsätzen des EU-Primärrechts (z.B. Gleichbehandlung, Transparenz, Nichtdiskriminierung) vergeben werden. Das bedeutet: Auch nationale Vergaben können europarechtliche Relevanz entfalten, wenn sie für Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten potenziell von Interesse sind.
Binnenmarktrelevante Bauaufträge
Anders als bei standardisierten Lieferleistungen sind Bauaufträge häufig stark lokal geprägt: Es gibt bauordnungsrechtliche Vorschriften, regionale Besonderheiten und nicht zuletzt logistische Anforderungen, die für ausländische Bieter eine hohe Markteintrittsschwelle darstellen.
Bauaufträge können dennoch binnenmarktrelevant sein, wenn sie z.B. durch ihre Größe, ihr Auftragsvolumen oder ihre geografische Nähe zur Grenze ein grenzüberschreitendes Interesse wecken könnten. Ein kleiner Schulumbau im ländlichen Raum dürfte kaum binnenmarktrelevant sein – ein Millionenprojekt in grenznaher Lage hingegen schon. Binnenmarktrelevanz hängt also von konkreten Umständen ab – etwa dem Auftragswert, der Art der Leistung oder der Lage des Bauortes.
Sind Lieferleistungen immer binnenmarktrelevant?
Im Gegensatz zur Bauvergabe könnte bei Lieferleistungen oft eine automatische Binnenmarktrelevanz unterstellt werden. Der Grund: Viele Produkte sind standardisiert, leicht transportierbar und über Ländergrenzen hinweg einfach zu beziehen. Ratsam ist aber auch hier eine Einzelfallprüfung. Relevante Faktoren sind u.a.:
- Standardisierungsgrad des Produkts
- Transportaufwand und -kosten
- Volumen des Auftrags
- Anzahl potenzieller Anbieter im EU-Ausland
Folgen der Binnenmarktrelevanz
Die Vergabestelle muss einen binnenmarktrelevanten Auftrag in geeigneter Weise öffentlich bekannt machen, damit potenzielle (auch ausländische) Bieter von der Vergabe erfahren können. Möglich ist eine Veröffentlichung z. B. auf der eigenen Website, einer regionalen/europäischen Vergabeplattform, in der ausländischen Presse oder im Amtsblatt der EU.
Die Bekanntmachung muss klar und verständlich sein sowie Angaben zum Auftragsgegenstand, zu den Teilnahmebedingungen, den Zuschlagskriterien und den Fristen enthalten. Alle interessierten Unternehmen müssen gleiche Chancen haben. Insbesondere darf es keine ungerechtfertigte Bevorzugung regionaler Anbieter geben.
Fazit
Für Auftraggeber gilt: Eine fundierte Prüfung der Binnenmarktrelevanz ist gerade bei unterschwelligen Vergaben unerlässlich – unabhängig davon, ob es sich um Bau- oder Lieferleistungen handelt. Hilfreich kann dabei eine kurze dokumentierte Einschätzung im Vergabevermerk sein, die sich an den oben genannten Kriterien orientiert.