Eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin (KG, Urteil vom 02.03.2021 – 21 U 1098/20) sorgt für Aufsehen. Die Richter haben sich mit der Frage befasst, ob Auftragnehmer eine einstweilige Verfügung nach § 650d BGB auch bei VOB-Verträgen erwirken können. Die Antwort: Ja.
In diesem Urteil hat sich erstmals ein Oberlandesgericht mit dem Verhältnis der §§ 650b ff. BGB zu § 2 VOB/B befasst. Zugrunde lag ein Sachverhalt, in dem eine Baufirma die Auftraggeberin im Wege einer einstweiligen Verfügung nach § 650d BGB in Anspruch nahm. Inhalt waren umstrittene Nachtragsforderungen nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B.
Zunächst ein kurzer Blick ins Gesetz: § 650d BGB ist sehr knapp gehalten. Er regelt, dass es zum Erlass einer einstweiligen Verfügung in Streitigkeiten über die Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB nicht erforderlich ist, den Verfügungsgrund glaubhaft zu machen. Also eine Norm, die sich vermeintlich „nur“ auf Nachträge nach dem BGB-Bauvertragsrecht bezieht.
Das Kammergericht sieht das jedoch anders, indem es feststellt:
Soweit der Klägerin die umstrittene Mehrvergütung zusteht, ergibt sich diese aus § 650c Abs. 1 BGB.
Umstritten war hier eine Mehrvergütung wegen geänderten bzw. zusätzlichen Leistungen nach § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B. Die Anspruchsgrundlagen, auf die sich Baufirma bezog, waren damit § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B – also gerade nicht der Mehrvergütungsanspruch aus § 650c BGB.
Hierzu heißt es im Urteil weiter:
Zwar enthält die VOB/B für Einheitspreisverträge in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B Regeln zur Anpassung der Unternehmervergütung nach Leistungsänderungen durch den Besteller. Werden diese Regelungen in ab dem 1. Januar 2018 geschlossene Verträge einbezogen, handelt es sich bei ihnen aber lediglich um vertragliche Ausgestaltungen der nun geltenden gesetzlichen Regelung in § 650c Abs. 1 und 2 BGB, sodass auch ein Streit um eine nach § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B zu bestimmende Mehrvergütung von den in § 650d BGB erwähnten „Streitigkeiten über die Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB“ mitumfasst ist.
Mit anderen Worten: Die VOB/B enthält aus Sicht des Gerichts keine eigenständigen Nachtragsansprüche (mehr), sondern konkretisiert lediglich die seit 1.1.2018 im BGB-Bauvertragsrecht vorgesehenen gesetzlichen Regelungen. Damit ersetzen die VOB/B-Normen hier nicht das BGB – wie dies vor 2018 regelmäßig angenommen wurde. Die BGB-Nachtragsregelungen gelten auch für den VOB-Vertrag, der das BGB hier lediglich „ausgestaltet“ – also ergänzt, aber eben nicht ablöst.
Im nächsten Schritt beschäftigt sich das Urteil mit der Frage, ob die einstweilige Verfügung nach § 650d BGB auch im VOB-Vertrag anwendbar ist. Dazu wird ausgeführt:
Weder die streitgegenständlichen Verträge noch die in sie einbezogene VOB/B enthalten soweit ersichtlich eine Bestimmung, die den Ausschluss von § 650d BGB zum Gegenstand hat. Somit stellt sich die Frage nicht, ob eine solche Regelung überhaupt wirksam wäre.
Im Ergebnis kann also § 650d BGB ohne Einschränkungen auch im VOB-Vertrag angewendet werden, wenn es nach dem Kammergericht geht. Bislang handelt es sich um eine Einzelentscheidung. Vieles spricht aber dafür, dass auch andere Gerichte dieser Ansicht folgen werden. Wie sich das konkret auf VOB-Bauverträge auswirkt und wie Auftraggeber sich hier verhalten können, wird Thema eines gesonderten Beitrags sein.