Das einzig stete ist der Wandel. Was also tun, wenn sich zwischen Vertragsschluss und Abnahme der Bauleistung etwas ändert, wofür keiner etwas kann? Dies ist beispielsweise der Fall bei Änderungen der anerkannten Regeln der Technik.
Wie in dem Artikel zum Bausoll beschrieben, muss der Auftragnehmer zahlreiche Regelungen beachten, um eine mangelfreie Leistung zu erbringen. Über die dort beschriebenen Vertragsbestandteile hinaus muss die Leistung den anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Abnahme entsprechen. Das ist so in § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B geregelt:
Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht.
Anerkannte Regeln der Technik
Was hat es nun mit den anerkannten Regeln der Technik auf sich? Die gute Nachricht: Der Großteil der möglichen Eigenschaften wird häufig bereits durch die Leistungsbeschreibung definiert, für anerkannte Regeln der Technik bleibt dann wenig Raum. Die schlechte Nachricht: Es gibt kein Verzeichnis der anerkannten Regeln der Technik.
Bereits 1910 definierte das Reichsgericht in der Entscheidung mit dem Aktenzeichen IV 644/10, was anerkannte Regeln der Technik sind. Es handelt sich um
- Regeln für die Ausführung baulicher Leistungen,
- die in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und
- sich in der Baupraxis überwiegend als technisch geeignet bewährt und durchgesetzt haben.
Was tun bei Änderung?
Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B kommt es auf die anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Abnahme an. Das bedeutet, wenn sich eine anerkannte Regle der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändert, muss der Auftragnehmer seine Leistung der neuen anerkannten Regel der Technik angleichen. Unlängst hatte der Bundesgerichtshof einen spannenden Fall zu entscheiden, in dem es genau um dieses Problem ging.
BGH VII ZR 65/14
In der Entscheidung mit dem Aktenzeichen VII ZR 65/14 ging es um folgenden Fall (verkürzt): Ein Auftraggeber hatte einen Unternehmer mit der Errichtung von Hallen beauftragt. Im Vertrag war eine Schneelast von 80 kg/m² vereinbart, was der DIN 1055-5 (1975) entspricht. Während der Vertragslaufzeit wurde die DIN 1055-5 (2005) wirksam, nach der eine Schneelast von 139 kg/m² anzusetzen war. Nach Fertigstellung der Bauleistungen rügte der Auftraggeber die Konstruktion als mangelhaft, weil nur eine Schneelast von 80 kg/m² zugrunde gelegt wurde.
Das Gericht hat entschieden, dass es sich bei der DIN 1055-5 um eine anerkannte Regel der Technik handelt. Maßgeblich sind die anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Abnahme. Dies gilt auch, wenn sich die anerkannten Regeln der Technik während der Vertragslaufzeit ändern. Allerdings können Vertragsparteien eine Vereinbarung treffen, dass die anerkennten Regeln der Technik nicht eingehalten werden müssen. Im konkreten Fall hat das der BGH für möglich gehalten. Die Begründung liegt darin, dass nicht nur die Schneelast von 80 kg/m² im Vertrag stand, sondern darüber ausführlich verhandelt worden war. Das ganze vor dem Hintergrund der neuen DIN 1055-5.
Wenn der Bauherr also bewusst von den anerkannten Regeln der Technik abweichen will, stellt das selbstverständlich keinen Mangel dar. Ob das der Fall ist, muss in jedem Fall einzeln betrachtet werden.