Die Schätzung des Auftragswerts

Bevor mit der Vergabe von Bau- oder Planungsleistungen begonnen werden kann, stellt sich eine wichtige Frage: Muss ich EU-weit ausschreiben oder nicht? Dies hängt davon ab, ob der geschätzte Auftragswert den jeweiligen Schwellenwert erreicht oder überschreitet. In der Praxis bestehen immer wieder Unsicherheiten hinsichtlich des Stichtags für die Schätzung. Außerdem ist oft unklar, wie mit späteren Veränderungen des Auftragswerts umzugehen ist.

Ermittlung des Schwellenwerts

Zuerst muss natürlich geklärt werden, welcher Schwellenwert einschlägig ist. Hier hilft § 106 GWB weiter. Sobald der geschätzte Auftragswert den jeweiligen Schwellenwert erreicht oder übersteigt, findet demnach eine EU-Vergabe statt. § 106 Abs. 2 GWB verweist auf die einzelnen EU-Richtlinien, in denen die maßgeblichen Schwellenwerte geregelt sind. Für Bau- und Planungsleistungen ist demnach die aktuelle Fassung des Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU anzuwenden.

Schätzung des Auftragswerts

In § 106 Abs. 1 GWB und entsprechend auch in § 3 Abs. 1 VgV sind zwei wichtige Details enthalten. Zunächst einmal wird der Auftragswert nicht berechnet, festgelegt, ermittelt oder dergleichen – er wird vielmehr „geschätzt“. Dies zeigt deutlich, dass es hier nur um eine Prognose gehen kann. Nicht der tatsächliche Auftragswert ist entscheidend, sondern der „voraussichtliche Gesamtwert der vorgesehenen Leistung“ (§ 3 Abs. 1 VgV). Der zweite wichtige Aspekt ist, dass die Umsatzsteuer bei der Schätzung weggelassen werden muss.

Zeitpunkt der Schätzung

Den Stichtag für die Schätzung regelt § 3 Abs. 3 VgV. Demnach ist der Tag der Absendung der Auftragsbekanntmachung oder der sonstigen Einleitung des Vergabeverfahrens für die Schätzung maßgeblich.

Die EU-Vorschriften betrachten die Gesamtvergabe, also eine GU-, GÜ- und Generalplanervergabe, als Normalfall. In Deutschland ist dies gerade umgekehrt. Auch bei EU-weiten Vergabefahren gilt bei uns der Schutz des Mittelstandes und deshalb die möglichst losweise Vergabe (§ 97 Abs. 4 GWB). Daher muss bei oberschwelligen Baumaßnahmen, die aus mehreren Vergaben bestehen, § 3 Abs. 3 VgV so gelesen werden: Stichtag für die Schätzung ist der Tag der Absendung der „ersten“ Auftragsbekanntmachung.

Spätere Änderungen

Wenn sich später zeigt, dass die Schätzung zu hoch oder – was öfter passiert – zu niedrig angesetzt war, bleibt es gleichwohl dabei, dass die Schätzung am Stichtag maßgeblich ist. Voraussetzung ist natürlich, dass die Schätzung ordnungsgemäß und gewissenhaft erstellt wurde. Nur die Stichtags-Schätzung entscheidet darüber, ob eine EU-Vergabe stattfinden muss, oder nicht.

Je näher der Schätzbetrag am Schwellenwert liegt, desto exakter ist die Schätzung zu untermauern. Die Vergabestelle darf die Schätzung keinesfalls manipulieren, nur um der EU-Vergabe zu entgehen. Die Vergabekammern dürfen diese Schätzung auf Fehler hin überprüfen. Gerade bei knapp unter dem Schwellenwert liegenden Schätzungen besteht später zumeist ein erhöhter Erklärungsbedarf. In Zeiten des ständigen Anstiegs von Baukosten kann es erforderlich werden, eine schon vorab durchgeführte Schätzung bis zum Stichtag nochmals anzupassen.

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