Wenn sich der Zuschlag verzögert

In der täglichen Vergabepraxis kommt es immer mal wieder vor: Das Vergabeverfahren dauert viel länger als gedacht. Die Gründe können vielfältig sein. Die Aufklärung ist wesentlich zeitaufwändiger als gedacht, Bieteranfragen führen zur Korrektur der Leistungsbeschreibung und zur Verlängerung der Angebotsfrist, Rügen müssen bearbeitet werden usw.. Was passiert, wenn die in den Vergabeunterlagen vorgesehenen Ausführungsfristen wegen der Verzögerung nicht mehr eingehalten werden können? Der folgende Beitrag stellt zwei BGH-Entscheidungen dar – eine altbekannte und eine neue.

Beispielsfall

Betrachten wir einmal folgenden Beispielsfall: Der öffentliche Auftraggeber beabsichtigt den Ausbau einer Autobahn. Er führt deshalb im Jahr 2016 eine öffentliche Ausschreibung für Leistungen der Verkehrsführung und Verkehrssicherung durch. Unternehmer U ist Mindestbieter. In seinem Angebot ist unter anderem die Vorhaltung einer Stahlgleitwand von 14,8 km für 588 Tage zu einem Einheitspreis von 1.184 €/Tag netto enthalten. In der Ausschreibung ist als Frist für die Ausführung der Leistungen der Zeitraum von September 2016 bis April 2018 angegeben.

Die Bindefrist der eingereichten Angebote endet am 2. September 2016. Wegen enormer Verzögerungen muss sie jedoch mit Zustimmung der Bieter (u.a. auch des U) mehrmals verlängert werden. Erst am 30. März kann die Vergabestelle U schließlich den Zuschlag für die angebotenen Arbeiten erteilen.

Der Unternehmer ist der Ansicht, dass der Vertrag möglicherweise gar nicht wirksam zustande gekommen ist. Immerhin ist es unmöglich geworden, die alten Ausführungsfristen noch einzuhalten. Außerdem verlangt er die Kosten für die deutlich verlängerte Vorhaltung der Stahlgleitwand während des Vergabeverfahrens. Diese ermittelt er anhand der entsprechenden LV-Position.

Neue Ausführungsfristen

Zum Umgang mit einem Zuschlag auf überholte Ausführungsfristen hat sich der BGH bereits im Jahre 2010 geäußert (BGH, Urteil vom 22.07.2010, Az. VII ZR 213/08). Demnach kommt der Vertrag zunächst mit den alten Ausführungsfristen zustande. Die sich zwangsläufig ergebende Notwendigkeit, die Ausführungsfristen anzupassen, ist vertragsrechtlich zu lösen. Es handelt sich hierbei um eine Änderungsanordnung im Sinne von § 1 Abs. 3 VOB/B. Der Auftragnehmer hat in der Folge einen Anspruch auf Mehrvergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B.

Die Verlängerung der Bindefrist hat hierauf keinen Einfluss. Insbesondere ist damit keine Änderung des Angebotsinhalts verbunden. Ebenso wenig kann daraus ein Verzicht des Bieters auf eine spätere Vergütungsanpassung wegen geänderter Fristen abgeleitet werden.

Vorhaltekosten

Für die verlängerte Vorhaltung der Stahlgleitwand steht dem U keine Mehrvergütung zu. So hat es der BGH erst kürzlich entschieden (BGH, Urteil vom 26.04.2018, Az. VII ZR 81/17).

§ 2 Abs. 5 VOB/B und § 642 BGB

Eine Mehrvergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B scheitert schon daran, dass keine Mehrleistungen aufgrund einer Anordnung erbracht worden sind. Das Stadium der Vertragserfüllung hat ja noch gar nicht begonnen. Mangels Bauvertrag ist aber genauso wenig § 642 BGB anwendbar. Ein Annahmeverzug scheidet vor Zuschlag aus, Vertragspflichten bestehen zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Schadensersatz

Denkbar wäre allenfalls Schadensersatz. Zu fragen wäre zunächst, ob hier eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Vergabestelle vorliegt. Die nächste Frage wäre, ob die längere Vorhaltung die unmittelbare Folge einer eventuellen Pflichtverletzung ist. Beides ist rechtlich sehr umstritten.

Der BGH hat dies im konkreten Fall jedenfalls offen gelassen. Die Firma hatte ausdrücklich „Entschädigung“ für Vorhaltekosten gefordert und damit gerade keinen Schadensersatz. Insofern wurde auch kein Schadensersatzanspruch bejaht.

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